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  • Jürgen schreibt für Michel

Ungarn

Wie im letzten Bericht schon erzählt, war der Grenzübertritt, noch begleitet durch Kerstin, völlig problemlos. In Ungarn war ich nicht so bekannt wie in der Slowakei, wo ich durch die Fernsehberichte eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte. Ich erwartete deshalb ruhige Wandertage.



Kerstin war noch da. Zwei Tage würde sie mich noch begleiten. Wir konnten deshalb das bereits mehrfach erprobte Verfahren durchziehen. Kerstin fuhr als Vorhut voraus, suchte einen Übernachtungsplatz, lotste mich dorthin oder kam mir wieder ein Stück entgegen.

Heute nach dem Frühstück begleitete sie mich erstmal noch ein Stück. Es ging an dem kleinen Grenzfluss entlang. Der von uns gewählte Weg führte uns ins Unterholz und Dickicht. Einige umgestürzte Bäume mussten überstiegen oder umgangen werden. Das war mühsam, machte aber irgendwie auch Spaß, so richtig abenteuerlich. Wir kamen überall gut durch und nicht in die Lage, umdrehen zu müssen.


Ab durchs Unterholz

Dieser Weg war auf jeden Fall besser als auf der Straße zu laufen. Nach ein paar Kilometer hatten wir es auch geschafft und kamen wieder aufs freie Feld. Hier drehte Kerstin um und lief mit ihrem Hund zurück, um ihrer Aufgabe als Kundschafterin nachzukommen.


Für mich und Vaillant ging es weiter am Fluss entlang, der bald darauf in die Donau mündete. Wir trotteten so vor uns hin als Kerstin sich meldete und berichtete, dass der von uns avisierte Platz nicht geeignet war, sie aber eine tolle Alternative gefunden hätte, direkt an der Donau, wo man auch mit dem Womo gut stehen konnte.

Entspannt ging ich also das letzte Stück an, und schon am frühen Nachmittag erreichten Vaillant und ich den beschriebenen Ort. Das war wirklich ein nettes Plätzchen und unweit eines Dorfes, wohin wir uns nun noch zu einer Besichtigungstour aufmachen wollten.


Im Dorf trafen wir auf eine Ungarin, die wir bereits am Vormittag schon mal unterwegs gesehen hatten, die sehr gut Deutsch sprach. Während der sehr netten Unterhaltung empfahl sie uns noch ein Café und einen schönen Aussichtspunkt, wo wir unbedingt hin sollten.

Erstmal ließen wir es uns in dem Café gut gehen. Dann nach Kaffee und Kuchen schlenderten wir zu dem beschriebenen Aussichtspunkt, wo uns ein herrlicher Blick über die Landschaft und die Donau erwartete.



Zurück an unserem Lagerplatz freuten wir uns auf den letzten gemeinsamen Abend. Ich war jedoch innerlich etwas aufgewühlt.

Die letzten Tage mit Rudi, seinen Söhnen und natürlich Kerstin. Die Aussicht auf die alleinige Weiterreise. Der Abschied. Die angenehmen Nächte im warmen und weichen Bett. Die vor mir liegenden einsamen Nächte im kalten Zelt. Die Nässe und Kälte am Morgen. Ein neues Land, eine neue Sprache. Nicht wissen, wie die Leute einem da begegnen.

Das alles schwirrte in meinem Kopf durcheinander. Es führte zu einer unbedachten Äußerung gegenüber Kerstin. Ein Wort gab das andere und es endete in einem handfesten Streit - wegen einer Kleinigkeit.

Und das am, voraussichtlich für lange Zeit, letzten Abend, den wir zusammen verbringen dürfen.


Am Lagerplatz
 

Die Nacht hatte ich sehr schlecht geschlafen. Der Streit von gestern Abend ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Ich wachte gegen sechs auf, Kerstin war schon mit ihrem Hund beim Gassi gehen. Ich stand auf, packte meine Sachen. Kerstin kam zurück und bereitete sich für die Heimreise vor. Schweigend wurstelten wir nebeneinander her. Die Stimmung war noch nicht besser und am frühen Morgen war ich noch nicht in der Lage über den Konflikt, den ICH gestern ausgelöst hatte, zu reden.

Der Abschied war schlimm. Mir blieb nichts anderes übrig als traurig und frierend dem wegfahrenden Wohnmobil hinterher zu schauen.


Erst nach geraumer Zeit brachte ich es fertig, mein übliches Frühstück mit Porridge und Kaffee zu richten. Ein gemeinsames Frühstück hatte es nicht mehr gegeben.

Missmutig setzte ich meinen Weg fort. Die Stimmung am Boden. Was war ich doch für ein Idiot!


Wenigstens war der Weg besser und angenehmer zu laufen als erwartet. Ich hatte ja Befürchtung, dass es an der Donau entlang ziemlich langweilig und eintönig werden würde. Doch dieser Abschnitt war echt ok. Die Donau windet sich hier in weiten Kurven. An den Ufern zogen sich die Hänge hoch, so dass es ein ganz schönes Bild abgab. Auch der Wettergott meinte es gut. Schon zeitig kam die Sonne durch und bald konnte ich ohne Jacke laufen.



Mein Weg führte mich nach Nagymaros. Dort traf ich auf eine Gruppe Leute, die alle mehr oder weniger gut Deutsch sprachen, so dass wir uns nett unterhalten konnten. Einer der Männer betätigte mich in der Ansicht, dass der Donauabschnitt zwischen der slowakischen Grenze bis hierher recht schön sei, jedoch trübte er gleich die Aussichten für die nächsten Tage, da würde das deutlich trister werden.


Bei einer Rast nach der Stadt, kam ich ins Gespräch mit einer Frau, die auf dem Fahrrad vorbeikam. Sie erzählte mir von ihrem Pferd und kurz entschlossen ergriff ich die Gelegenheit, sie zu fragen, ob ich den Esel nicht dazustellen könnte und bei ihr übernachten.

Sie war einverstanden, erklärte mir den Weg auf der Karte. Das war nur drei Kilometer entfernt und lag auch direkt an meinem Weg. Jippieh!


Die Frau hieß mich kurz darauf herzlich willkommen. Sie zeigte mir die Wiese für Vaillant und außerdem einen Wohnwagen, der in dem Garten abgestellt war und den ich benutzen durfte.

So gestaltete sich die erste Nacht ohne Wohnmobil gar nicht so schlecht. Der Wohnwagen hatte zwar keine Heizung, aber immer noch besser wie im Zelt.


 

Erst als mich am anderen Morgen von der Frau verabschiedete, fiel mir auf, dass sich mich die ganze Zeit in Ruhe gelassen hat. Es belagerten mich auch keine Nachbarn oder sonstigen Leute, die meine Geschichte hören wollten oder mich mit Geschenken überhäuften.

So reifte die Erkenntnis, dass ich es in Ungarn deutlich ruhiger haben würde als in der Slowakei, und ich werde einen Teufel tun, das mit Fernsehinterviews oder ähnlichem zu ändern.


Der Weg führte weiter an der Donau entlang Richtung Vac. Tatsächlich war dieser Abschnitt nicht mehr ganz so schön wie gestern, doch gab es immer wieder kleinere Dörfer, die Abwechslung versprachen.

Ich hoffte, noch vor Vac, einer etwas größeren Stadt, einen Übernachtungsplatz zu finden, doch irgendwie erschien alles, was ich mir ausguckte, ungeeignet. Kerstin fehlte. Nicht nur als Kundschafterin.


Kurz bevor es dann richtig in die Stadt hineinging, ergab sich aber dann doch noch eine Möglichkeit. Eine überdachte Sitzgruppe vor einem kiesigen Donaustrand, wo sich etliche Angler niedergelassen hatten und mit ihren Autos direkt auf den Strand gefahren waren. Die störten mich nicht sonderlich und ich machte mich an der Sitzgruppe breit.



Abends, nachdem die Angler abgezogen waren, richtete ich mein Nachtlager her. Ich legte den Schlafsack mit Isomatte auf den Tisch und spannte mein Tarp darüber wie ein Zelt. Die Seiten des Tarps zog ich seitlich so weit es ging nach unten, so entstand so eine Art Höhle, die sehr kuschelig aussah.

Das richtige Zelt habe ich nicht aufgebaut. Es würde am anderen Morgen richtig nass sein und ewig dauern, es zu trocknen. Mit dem Tarp war es da einfacher.

Noch konnte ich meine Höhle nicht genießen, da sich noch ein Rudel Jugendlicher am Strand einfand, die ein Spektakel veranstalteten. Gott sei Dank ging es aber nicht allzu lange bis die Kids wieder verschwanden und ich sank in einen tiefen Schlaf.


 

Das mit dem provisorischen Zelt hat super funktioniert. Ich war schon sehr früh wach und um halb sieben bin ich dann aufgestanden.

Das Wetter war auch nicht ganz schlecht, zwar etwas neblig, aber die Temperaturen hielten sich in Grenzen. Die Morgenroutine war schnell abgehakt und gutgelaunt zog ich mit Vaillant los.

Ich fragte ein paar Leute, wo ich denn einkaufen könne. Sie wiesen mir den Weg in die Stadt, das wäre besser wie am Fluss entlang. Der Supermarkt ließ auch nicht lange auf sich warten. Ich kaufte ein und beschloss durch die Stadt durch zu laufen und nicht wieder zurück zur Donau. Das war eine gute Entscheidung, denn Vac war ein anschauliches Städtchen und da es immer noch früh am Morgen war, kam ich auch noch gut durch.



Vac präsentierte sich mit schönen historischen Gebäuden und einem tollen Marktplatz. Am anderen Ende der Stadt gab es einen sehr schön angelegten Park, durch den wir gutgelaunt durchmarschierten.

Nach Vac traf ich die Entscheidung, etwas von der Donau abzuweichen. Ich war jetzt kurz vor Budapest. Die Großstadt und seine Vororte zu durchqueren hätte voraussichtlich drei Tage gedauert und ich hatte Bedenken, in der Stadt geeignete Übernachtungsplätze zu finden.

Also lieber etwas weg von der Donau und in einem großen Bogen drum rum.


Auf der Karte hatte ich einen Sportplatz entdeckt, da wollte ich übernachten. Als ich dort ankam, erwies sich der Platz aber als ungünstig.

Ich ging also noch ein Stück weiter in Richtung einer kleineren Ortschaft. Auf der anderen Straßenseite habe ich einen Bauernhof, eine Farm, entdeckt. Sie war mit einem Zaun, bzw. mit Mauern umzogen. Das wäre eine Möglichkeit, dachte ich mir, traute mich irgendwie nicht hinein.

Ein Stück weiter verwickelte mich dann eine Frau mit Kind in ein Gespräch. Im Laufe der Unterhaltung fragte ich beiläufig, ob sie nicht eine Möglichkeit zum Übernachten wisse. Spontan antwortete sie, ich solle es mal bei der Farm probieren, an der ich gerade vorbeigelaufen war. Dort würde mich man bestimmt aufnehmen. Das sei nämlich keine einfache Farm, sondern eine Landwirtschaftsschule. Und die hätten auch Kühe, Pferde und Schweine.

Aha, kurzentschlossen drehte ich um und lief zu der Farm zurück. Ich zögerte immer noch ein bisschen durch das Tor zu laufen, überwand mich aber und fand zwei Männer auf dem Hof. Die beiden konnten weder Deutsch noch Englisch und ich hatte deshalb Mühe, ihnen mein Anliegen zu erklären.

Einer der Männer zückte das Telefon um jemanden anzurufen, der Deutsch sprach. Ich erzählte ihm am Telefon, was ich wollte und der Mann übersetzte es den beiden anderen. Einer der beiden war der Direktor der Schule. Er lud mich ein zu bleiben und war erfreut, mir helfen zu können.

Er zeigte mir eine Wiese, wo Vaillant bleiben konnte, brachte frisches Heu und Wasser.



Für mich zeigte er mir einen Klassenraum. Hier durfte ich es mir gemütlich machen. Es gab sogar eine Dusche und Toilette.

Einzige Bedingung war: ich musste spätestens um halb acht morgen früh weg sein, den da kamen die Schüler, die den Raum nutzten.


 

Die Nacht im Klassenzimmer war klasse! Warm, trocken, ruhig. Am Morgen kein nasses Zelt abbauen. Was will der Abenteurer mehr?

Ich war um sechs wach, schnell gefrühstückt, das Packen ging fix, da nichts ausgepackt war, Vaillant abgefertigt und kurz nach sieben war ich marschbereit.

Ein kurzer Plausch noch mit einer Lehrerin, der Direktor ließ sich nicht mehr blicken. Die ersten Schüler trafen ein und ich machte mich auf den Weg. Ich hab also meinen Teil der Vereinbarung eingehalten...


Es war recht frisch an diesem Morgen. Ich musste alle Jacken anziehen, die ich hatte und die Handschuhe noch dazu.

Die Sonne stieg höher und im Laufe des Vormittags konnte ich mich dann nach und nach der Jacken entledigen, so dass ich schlussendlich nur noch im Pullover lief.

Die Strecke heute war sehr tröge und es gibt nicht viel zu berichten. Oft ging es der Straße entlang und durch kleinere und größere Dörfer. Meist wurde ich in Ruhe gelassen. Das empfand ich zusehends als angenehm.


Nachmittags sprach mich ein Rollerfahrer auf Deutsch an. Und wie üblich ließ ich meine Frage nach einer Übernachtungsmöglichkeit ins Gespräch einfließen.

Nach kurzem Überlegen empfahl er mir eine Wiese neben dem Sportplatz. Er telefonierte auch noch mit dem zuständigen Platzwart und holte sich sein OK ab.

Gut, das passte. Der Platz war nicht so schlecht, jedoch wurde er auch von vielen Hundebesitzern genutzt. Manchmal zog ein entsprechendes Düftchen zu mir herüber. Vaillant freute sich, konnte er doch seinem neuen Hobby "Hundejagen" ausgiebig fröhnen.


Gegen sechzehn Uhr wurde es schon wieder dämmrig und recht frisch. Da ich nicht schon wieder den ganzen Abend im Zelt verbringen wollte, begab ich mich in die gegenüberliegende Bar, die zum Sportplatz gehörte, und genoss noch ein Bierchen - oder vielleicht waren es auch zwei.


 

Brr, es war zapfenkalt. Ich zog mich für mein Porridge direkt wieder ins Zelt zurück. So langsam wurde es echt hart, im Zelt zu übernachten. Das Problem war nicht die Nacht an und für sich, der Schlafsack hielt mich schon gut warm. Aber die frühe Dunkelheit abends machte mir zu schaffen. Ab vier wurde es dunkel und kalt. Spätestens um fünf musste man sich ins Zelt verkriechen. Dann konnte ich natürlich noch nicht schlafen und vertrieb mir die Zeit mit Hörbüchern. Doch bis am nächsten Morgen liegt man dann einfach vierzehn, fünfzehn Stunden im Zelt rum. Das geht ganz schön auf die Knochen, ich glaube, ich hatte schon Liegeschwielen.

Am Morgen dann nass und kalt. Das Zelt trocknete nie mehr richtig. Das nasse Zelt einzupacken macht echt keinen Spaß. Tagsüber, wenn die Sonne durch kam, ging's dann wieder.


So auch heute. Nachdem ich alles verstaut hatte ging ich los und mit der Bewegung taute ich wenigstens innerlich wieder ein bisschen auf.

Nachmittags traf ich auf Eberhard. Eberhard, ein gebürtiger Deutscher, lebt mit seiner Frau seit drei Jahren in Ungarn. Er selber ist schon in Rente, er war bei der Bundeswehr im Musikkorps. In dieser Eigenschaft war er auch schon mehrere Jahre in den Staaten. Seine Frau hat dort bei Bosch gearbeitet. Jetzt hatte sie eine Stelle, immer noch bei Bosch, in Ungarn angeboten bekommen. Deshalb sind sie jetzt hier. So wie Eberhard über die Deutschen redete, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie nochmal nach Deutschland zurückkehren.

Wie ich Eberhard kennengelernt habe war schon einigermaßen kurios. Er kam mir mit seinem Hund auf unserem Weg entgegen. Immer wenn uns ein Hund begegnet, bleibt Vaillant stehen und beobachtet den Hund kritisch, man denke an sein Hobby.

So auch diesmal. Und weil ich Vaillant auf Deutsch aufforderte, endlich weiterzulaufen, erkannte Eberhard, dass ich Deutscher bin und sprach mich an.

Das war ein sehr nettes und interessantes Gespräch und ich erzählte ihm, dass ich vor hatte auf einem Pferdehof, der nur noch ein, zwei Kilometer entfernt war, versuche zu übernachten. Da bot er mir seine Hilfe an. Er hatte selber drei Pferde auf besagtem Hof einstehen. Er würde nur noch mit seinem Hund eine Runde laufen wollen, dann könnten wir uns am Hof treffen.

So machten wir das. Ich war zuerst da, musste aber nur kurz auf Eberhard warten. Der ging mit mir zur Besitzerin des Hofs und klärte alles für mich ab. Auf dem Hof gab es auch Fremdenzimmer zu mieten. Eberhard lud mich ein, auf seine Kosten in einem Zimmer zu übernachten. Und da für Morgen schlechtes Wetter angesagt war, machten wir gleich zwei Nächte draus. Vielen Dank, Eberhard, für deine großzügige Hilfe.

So bekam ich ein schönes Zimmer, und Vaillant die Weide direkt vor meinem Fenster.


Auf dem Pferdehof

 

Schschscht - Schschscht, die Packtaschen streiften an den Büschen links und rechts. Der Pfad war so schmal und so zugewachsen, dass Vaillant mit den Taschen gerade noch so durchpasste. Schschscht, das ging schon eine ganze Weile so. Vaillant schien das Geräusch nicht zu gefallen, er drängelte und schubste mich die ganze Zeit.

Plötzlich galoppierte Vaillant los, fast hätte er mich umgerannt. Ich konnte mich gerade noch in die Büsche drücken, den Strick ließ ich los. Panikartig rannte Vaillant den Weg hinab. Je schneller er wurde, umso lauter das Geräusch. Vaillant rannte noch schneller.

Ich ließ ihn gewähren. Rufen und Schimpfen half wahrscheinlich sowieso nicht, und da ja durch die Büsche der Weg vorgegeben war, konnte er auch nicht abhauen.

Ich joggte hinterher und nach ein paar hundert Metern weitete sich der Weg etwas und Vaillant wurde tatsächlich langsamer. Ich konnte ihn wieder einfangen und gemächlicher setzten wir unseren Weg fort. Ich war erleichtert und konnte ihm gar nicht böse sein. Ist halt ein Sensibelchen.


Nach den beiden Nächten im Fremdenzimmer habe ich noch eine Nacht im Zelt verbracht. Heute morgen spürte ich jeden Knochen. Alter Mann, warum tust du dir das an?

Heute konnte die Sonne die Wolken gar nicht vertreiben und es blieb den ganzen Tag neblig und feuchtkalt. Die Kälte kroch unter die Jacke und alles fühlte sich klamm an.

Mein Ziel für heute war ein Reiterhof, den ich in der Karte ausgemacht hatte. Dort angekommen, war das Tor verschlossen, aber da hing ein Zettel mit einer Telefonnummer. In der Hoffnung einen englischsprechenden Menschen an die Strippe zu kriegen, wählte ich die Nummer. Doch es kam nur die Ansage "kein Anschluss unter dieser Nummer". Die Stimme sagte das natürlich auf Ungarisch, aber an der Art und Weise wie es gesprochen war, konnte man erkennen, was gemeint war.

Im Nachbargarten hackte jemand Holz. Ich ging hin und die junge Frau konnte tatsächlich gut Englisch. Sie rief die Besitzerin des Reiterhofs an und trug mein Anliegen vor. Die Besitzerin meinte, sie sei gerade nicht in der Nähe, aber der Pferdepfleger könne mir alles zeigen. Ich könne auf jeden Fall bleiben, das wäre kein Problem.


Mit Hilfe der Nachbarin machten wir den Pferdepfleger ausfindig. Er zeigte mir bereitwillig den Stall für Vaillant, gab ihm frisches Heu. Das Heu musste besonders gut sein, denn Vaillant haute direkt rein, ohne die besten Gräser auszusortieren, wie er es sonst immer machte.

Der Knecht nahm mich mit auf seine Kammer. Ein kleiner Raum mit einem Bett, einem Schrank und einem großen Tisch direkt unter dem kleinen Fenster. In der Ecke ein Holzofen. Das Zimmer war so total verdreckt, wie ich es noch nie gesehen hatte. Ich war schon in Afrika unterwegs, habe dort viel erlebt, aber das toppte alles.



Ich traute mich gar nicht richtig den Raum zu betreten, geschweige denn etwas anzufassen. Der Ofen war nicht angefeuert, im Zimmer war es kaum wärmer als draußen. Den Geruch kann ich gar nicht beschreiben. Ich blieb in der Mitte des Raumes etwas verloren stehen. Als ich den Blick des Pflegers bemerkte, überwand ich mich und setzte mich aufs Bett. Aufrecht.

Er bot mir einen Kaffee an. Ich schwankte, ob ich annehmen sollte. Einerseits würde mir der heiße Kaffee gut tun, andererseits war die Tasse so dreckig...

Ich nahm den Kaffee dann doch. Durch die dunkle Brühe sah man die Tasse ja nicht. Der Kaffee schmeckte tatsächlich gut und eine wohlige Wärme breitete sich in meinem Magen aus.

Ich versuchte den Knecht dazu zu bewegen den Ofen anzufeuern, doch er verstand nicht. Oder er wollte nicht verstehen. Ein Gespräch kam nicht zustande.

Nach ewigen zwei Stunden kam dann endlich die Besitzerin. Mit ihr konnte ich mich holprig auf Englisch unterhalten. Sie brachte warmes Essen mit, Hühnchen mit Reis. Wirklich eine Wohltat. Ich fragte sie, ob er nicht ein Feuer anmachen könne. Ja, meinte sie, aber erst müssen die Tiere versorgt werden. So musste ich nochmal warten, bis der Knecht wieder zurück war und er dann endlich die Scheite in den Ofen legte und sie zum Knistern brachte.

Der Knecht ging dann Angeln und ich hatte seine Kammer für mich allein. Ich machte mir es so gut es ging gemütlich. Immerhin wurde es jetzt warm und meine Knochen tauten langsam auf. Wenigstens musste ich nicht schon um fünf im Zelt liegen und ich vertrieb mir den Abend mit Hörbüchern. Schlafen durfte ich dann im Stall im Heu.







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