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  • Jürgen schreibt für Michel

Stetig gen Osten...

Auf diesem Abschnitt habe ich den Frankenweg verlassen und bin auf den E3 Eisenach- Budapest- Weg gewechselt. Die Richtung stimmt also, immer gen Osten!



Ich sitze unten am Bach, lese ein Buch und denke nach. Katja, die Heilpraktikerin, ließ mich Gott sei Dank in Ruhe. Sie hat gemerkt, dass ich nicht gut drauf war.

Ich habe Katja in ihrem Garten arbeitend angetroffen. Entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten, habe ich sie ziemlich direkt gefragt, ob ich bei ihr übernachten könne. Es war auch noch ziemlich früh am Tag, aber irgendwie hatte ich keinen Bock mehr. Der ganze Tag lief schon so schlecht. Das stürmische Regenwetter zehrte an den Nerven. Vaillant wollte nicht laufen. Das war nichts neues, aber heute fehlte mir echt die Energie, ihn immer wieder anzutreiben.

Eine witzige Szene gab es aber trotz allem. Wir sind an einem Wildgehege vorbeigekommen. Während alle anderen bei Vaillants Anblick wegsprengten, hielt eines der dort stehenden Rehe inne und schaute Vaillant lange an. Vaillant hielt dem Blick stand und blieb natürlich auch stehen. Immer, wenn ich Vaillant weiterzog und er sich herabließ, ein paar Schritte zu gehen, kam das Reh mit. Es lief tatsächlich bis ans Ende des Geheges mit und ich glaube, hätte der Zaun es nicht aufgehalten, es wäre immer noch bei uns. Das müsste man sich mal vorstellen, wenn ich nicht nur mit Vaillant, sondern auch noch mit einem Reh im Schlepptau auftauchen würde...

Ich weiß nicht, was die beiden gedacht haben, aber es schien als ob es irgendwie eine geistige Verbindung zwischen ihnen gäbe.

Der Rest vom Tag war leider irgendwie nicht so vergnüglich. Ich hatte einfach einen richtigen Durchhänger und war froh bei Katja untergekommen zu sein.

Dort habe ich ein richtig komfortables Gartenhaus bekommen, mit Küche und fließend Wasser und allem Zip und Zap, auf jeden Fall aber mit einem festen Dach über dem Kopf.


Katja

Katjas Mann fand mich, den Eindringling, anfangs nicht so prickelnd. Wir stellten aber fest, dass wir beide in der gleichen Branche arbeiteten und damit gab es genug Gesprächsthemen. Die beiden luden mich noch zum Abendessen ein, Chili con Carne.

So nahm der Abend doch noch ein versöhnliches Ende.


 

Doch von Anfang. Nach meinem kurzen Heimatbesuch, fuhr ich, frisch geimpft, mit Kerstin wieder zurück zu Raphael, wo mein Esel stand.

Es wird in nächster Zeit noch ein- oder zweimal eine Heimatreise geben. Meine Tochter wird heiraten und da muss ich, äh will ich, natürlich dabei sein. Ob ich nur zur kirchlichen Trauung heimfahre oder auch zur standesamtlichen, weiß ich noch nicht.

Jetzt kam ich aber erstmal zu meinem Lieblingsesel zurück. Ich glaube, Vaillant hat sich auch gefreut, seinen Lieblingsmenschen wieder zu haben.

Kerstin hatte nicht nur die neuen Ohrenschützer für Vaillant mit dabei, sondern auch ihre Nähmaschine. Die Schützer waren nicht für Esel gemacht und mussten noch an seine langen Ohren angepasst werden.



Hier das Ergebnis:


Vaillant hat jetzt Rastalocken!

Raphael war ein echt lockerer Typ, manchmal ein bisschen zerstreut - so ein liebenswerter Chaot eben. Ich mochte ihn. Wie bereits zuletzt erwähnt, hat er einen kleinen Baum- und Gartenpflegebetrieb. Ich hab ihm da, noch vor meiner Reise nach Hause, einen Tag lang geholfen. Bäume fällen und und Hecken freischneiden und so.

Raphael und seine Frau Isabell haben sich bestens um Vaillant gekümmert solange ich weg war. Nochmal herzlichen Dank dafür!

Wenn ihr in der Gegend wohnt und vielleicht mal einen Baum zum Fällen habt, dann geht zu Raphael! www.gala-baum.de



Am Samstagabend sind wir dann alle zusammen noch Essen gegangen - in ein Wirtshaus namens "Eselscheune"! Dort gab es bereits zwei Esel. Wir stellten Vaillant mit dazu und ließen uns das leckere Essen schmecken - und nein, es gab kein Eselschnitzel!


Am Sonntag ging es dann endlich wieder weiter mit unserer großen Wanderung. Vaillant kribbelte es schon in den Hufen. Das konnte man zumindest meinen, er zog los als könnte er es kaum erwarten, neue Abenteuer zu erleben.

Kerstin begleitete mich noch bis auf den ersten Berg, drehte dann aber um und kehrte in ihr "ziviles" Leben zurück.


Das Wandern an diesem Tag war sehr angenehm. Locker flockig spulten wir die Kilometer ab und schon wurde es wieder Abend. In einer Hütte wollte ich übernachten. Da erwies sich die neue Hängematte, mit ihren langen Schnüren, zum ersten mal als zu lang. Sie passte nicht zwischen die Pfosten und ich musste gezwungenermaßen im Freien übernachten. Bei den Temperaturen und trockenem Wetter aber kein Problem.



 

Ich benötigte Proviant. Vor allen Dingen brauchte ich Brot. In der nächsten Ortschaft schaute ich mich also nach einer Bäckerei um. Die fand ich auch ziemlich schnell, doch sie hatte zu.

Mmh, das war jetzt blöd. Ich hatte Hunger und auf der weiteren Wegstrecke würde es an diesem Tag nicht so schnell wieder eine Möglichkeit zum Einkaufen geben. Kurzerhand ging ich um das Haus herum und klingelte an der Haustür. Die Bäckersfrau zeigte Verständnis und brachte mir ein Brot heraus. Beim Anblick von Vaillant war sie so erstaunt und erfreut, dass sie mir das Brot schenkte!


Gut gelaunt zogen wir los, unserem Tagesziel, der Radspitze mit ihrem Aussichtsturm, entgegen.

Bevor wir den Aufstieg wagten, machten wir noch eine längere Pause, um Kraft zu schöpfen. Da kamen drei Männer mit dazu, die gerade mit ihren Paraglidern von dem Berg runter kamen, den wir noch rauf müssten. Die drei hatten sich den Rastplatz ausgesucht, an dem ich gerade verweilte, um auf ihren gelungenen Flug anzustoßen. Dabei fiel auch noch für mich ein Bierchen ab. Das nahm ich sehr gerne an und fröhlich tranken wir Bier und erzählten uns gegenseitig unsere Geschichten.


Jetzt hatte ich schwere Beine, den Aufstieg mit 300 Höhenmetern aber noch vor mir. Entsprechend schwerfällig ging ich es an. Aber es schien, als hätte Vaillant auch von dem Bier getrunken, er wirkte nämlich noch viel schwerfälliger...


Die Belohnung gab es oben mit dem Turm und einer wundervollen Aussicht.



Ich wollte hier über Nacht bleiben. Auf die Nacht war aber Regen angesagt. Die überdachte Sitzgruppe erwies sich eher als zu klein für mich (zu kurz). Das Zelt wollte ich nicht aufbauen. So habe ich einfach mein Tarp über die zweite, nicht überdachte Sitzgruppe gespannt und auf dem Tisch geschlafen.

Es begann nachts tatsächlich zu regnen und meine Konstruktion funktionierte auch gut, doch habe ich das Tarp etwas zu niedrig positioniert. Gefüllt mit Regen, hing das Tarp doch ziemlich durch und fast wäre ich noch nass geworden. Vaillant hat es da bedeutend leichter. Er zieht sich einfach in den Wald unter die Bäume zurück. Ist halt ein echter Naturbursche!

Am nächsten Morgen dauerte es lange bis die Sachen wieder trocken genug waren, um sie verstauen zu können. Spät ging es los und nach nur etwa 500 m kam ich an eine bewirtschaftete Hütte. Die hatte ein schönes großes Vordach. Das wäre der bessere Platz zum Übernachten gewesen!


 

Wir liefen schon eine ganze Weile idyllisch an einem Bach entlang. Ich hatte eine alternative Route zum Frankenweg gewählt, wegen der vielen An- und Abstiege.

Diese Variante erwies sich aber nicht als die beste Wahl, denn jetzt ging es über mehrere Kilometer (!) am Waldrand entlang über eine Wiese mit hüfthohem Gras. Das Gras war nass und als wir endlich durch waren, war ich wirklich von oben bis unten klatschnass und zwar bis auf die Unterhose! Vaillant schien schadenfroh zu grinsen, er hat ja keine Unterhosen an. Aber auch sein Fell klebte am Bauch und war voller Ähren. Ich hatte also auch gut grinsen.

Alles in allem war das auch kein großes Problem, denn es war warm und innerhalb kurzer Zeit waren wir beide auch wieder trocken.


Wir kamen durch beschauliche Ortschaften und in einem dieser Dörfer hörte ich eine Stimme von oben rufen, ich solle warten, sie hätte ein paar Karotten für den Esel. Ich schaute mich um, die Stimme kam von einem Haus hoch am Hang. Und schon kam eine Frau herunter gerannt mit einem Bündel Karotten in der Hand. Der Hang wurde unten mit einer ungefähr anderthalb Meter hohen Mauer abgefangen. Ich ging hin und wollte der Frau die Karotten abnehmen, aber sie zog zurück und meinte: "Ich kann das schon!" Behände sprang sie hinunter - das machte sie bestimmt nicht das erste Mal!

Ich war entzückt und sie war entzückt von Vaillant. Und während wir ein bisschen quatschten, ließ er sich die Karotten schmecken.



Ein Stück weiter gab es einen Rewe- Markt. Ich band Vaillant auf dem Parkplatz an und ging rein zum Einkaufen. Schon im Markt gab es ein großes Hallo wegen dem Esel und die Frauen an der Kasse feixten und lachten.

Als ich wieder raus kam, ergab sich folgendes Bild:



Mehrere Leute scharten sich um Vaillant und der Typ direkt bei Vaillant ist der Mann der Filialleiterin und gleichzeitig Boss des angrenzenden Getränkemarktes. Da wollte ich auch noch hin und ich bat die Leute, weiter auf Vaillant aufzupassen.

Ich holte zwei Flaschen Kulmbacher. An der Kasse war der Chef schon wieder zur Stelle und er gab mir noch zwei Flaschen Bier oben drauf. Und nicht nur das, er ging auch noch ins Lager und holte für Vaillant frische Äpfel und Karotten - kiloweise!

Ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Zwei Flaschen Bier gekauft, vier gekriegt und Leckereien für Vaillant für die ganze Woche! Das nennt man: Deal!


 

Die Nacht in Katjas Gartenhütte war ok. Der Boden zwar etwas hart, dafür war es warm und trocken. Meine Lebensgeister blühten wieder auf, die Pause hatte gut getan.

Ich weiß nicht genau, was gestern mit mir los war. Klar, das Wetter war scheiße, aber das war ja schließlich nicht das erste mal. Vielleicht war es, weil ich zu Hause war und mich ein gewisser Wehmut überkam, den ich als solchen gar nicht erkannt hatte. Vielleicht war ich auch nur erschöpft, die letzten Tage hatten wir ganz schön Strecke gemacht.

Wie auch immer, heute ging es mir wieder besser und war zu neuen Schandtaten bereit.

Bei Katja gab es noch ein Frühstück und frohgemut starteten wir in den Tag. Vielleicht lag es ja auch an Katja. Die Frau ist ja nicht nur Heilpraktikerin, sondern auch so eine Art Kräuterhexe. Vielleicht hat mich ihr Karma wieder hochgezogen, wer weiß...?!



Fazit: Wenn's dir mal nicht so gut geht, geh zu einer Kräuterhexe. Allein ihre Anwesenheit macht dich wieder gesund!


Wir kamen zur Höllenquelle mit Höllensprudel. Das Wasser schmeckte höllisch - und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Durch den hohen Eisenanteil hatte es einen widerlichen, ja eben rostigen Geschmack! Abscheulich, nichts für mich. Gesund hin oder her, hier füllte ich meine Wasservorräte nicht auf!



Im weiteren Verlauf kamen wir durchs Höllental. Das wäre jetzt nicht weiter erwähnenswert, Höllentäler gibt es ja schließlich öfter mal. Dieses jedoch hat einen Hirschsprung! Und an der Stelle, wo der Hirsch übers Tal gesprungen sein soll, eine Hirschstatue! Irgendwie kommt mir das alles bekannt vor... ob ich mich verlaufen hab?!?



Durchs Höllental wandert man sehr schön, immer mit dem kleinen Flüsschen Selbitz im Talgrund und teils schroffen, steilen Felswänden links und rechts. Gemütlich gings aus dem Tal raus, an einem Besucherbergwerk vorbei und bald erreichten wir das Ende, respektive den Beginn (ich bin "falschrum" gelaufen), des Frankenwegs.


An dieser Stelle treffen gleich fünf Fernwanderwege aufeinander, weshalb der Ort auch als "Drehkreuz des Wanderns" bezeichnet wird.

Diese Tatsache wird von den Tourismusbehörden zelebriert, so dass hier ein aufwändig gestalteter Informationspunkt entstanden ist. Zugegebenermaßen war das aber auch sehr interessant und informativ.


Das sind ja nur vier Wege! - Was hier noch fehlt ist der Frankenwaldsteig

Bei diesem Drehkreuz gab es auch eine kleine Hütte, die ich nutzen wollte, um eine Pause zu machen. Erst beim Betreten der Hütte bemerkte ich, dass diese schon besetzt war. Ein Mann lag drin und schnarchte laut, offenbar war er betrunken. Diesem Mann würde ich später noch einmal begegnen...


Für mich ging es erstmal auf dem Kammweg weiter. Ich wanderte mit meinem Kumpel an der Saale entlang auf dem sog. "Grünen Band". Das ist bekanntermaßen der ehemalige Grenzstreifen, der nach der Wiedervereinigung der Natur überlassen wurde. So entstand ein über 1000 km langes Biotop bis hoch zur Nordsee.

Ich wanderte also auf diesen typischen befestigten Fahrstreifen, muss aber sagen: eigentlich total langweilig. Es ging ziemlich eintönig diesen Streifen entlang, rundherum zwar viel Grün, aber halt sonst keine Abwechslung.


So kam ich also an diese Brücke:



Vaillant wollte partout nicht drüber gehen. Ich gabs auf. Das hatte heute keinen Zweck mehr. Ich suchte mir ein einigermaßen geeignetes Plätzchen, baute mein Zelt auf und übernachtete hier.

Eine ältere Frau verwickelte mich in ein Gespräch. Sie schenkte mir eine Banane und erzählte mir von einem Mann aus dem Nachbardorf, der schon mal mit einem Esel bis nach Bulgarien gelaufen wäre. Interessant. Ich überlegte, ob ich da hinlaufen sollte, um mit dem Typen Kontakt aufzunehmen.

Ich nehm's vorweg, letztlich ist nichts draus geworden. Aber ihr seht, es gibt noch mehr solche verrückten Typen wie mich, mit denselben verrückten Ideen.


Am nächsten Morgen, es war Samstag, musste ich mit Vaillant natürlich doch noch irgendwie über die Brücke, die er gestern verweigert hatte.

Gespannt lief ich auf die Brücke zu. Vaillant tat so, als hätte er diese Brücke in seinem Leben noch nie gesehen. Ohne zu zögern, setzte er seinen Huf auf die Brücke und lief drüber - einfach so! Soll einer aus diesem Vieh schlau werden...


Im übernächsten Dorf sahen mich Leute von ihrer Terrasse aus und riefen mir zu, ob ich eine Kaffee haben wolle. Ich willigte ein und kletterte über den Vorgarten nach oben auf die Terrasse.

Ich traute meinen Augen kaum. Das war doch dieser Typ, der neulich schnarchend in der Hütte lag. Ich musste lachen, die Welt war einfach zu klein. Der Typ gab zu, dass es schon möglich sein könne, dass er das war.

Und jetzt kommt's: Dieser Junge ist schon zu Fuß nach China gelaufen! Er hatte zwar keinen Esel dabei, aber einen Hund. Im Grunde hatte er damals dasselbe vor wie ich, nämlich über den Karakorum und den Pamir- Highway wandern. Zwangsläufig kommt man auf der anderen Seite nach China. Und obwohl er ein gültiges Visum besaß, wurde er verhaftet und saß zwei Wochen im chinesischen Knast, bevor er zurück an die tschadschikische Grenze gebracht wurde. Der Grund war angeblich sein Hund. Was da wirklich dran war, erfuhr er natürlich nie. Hauptsache, er kam gesund zurück und auch seinen Hund haben sie ihm zurückgegeben.


Nach einem angeregten Gespräch und nachdem ich noch großzügig mit Proviant (Äpfel, Bananen, Schokolade, Bier und und und...) versorgt wurde, macht ich mich wieder zum Aufbruch bereit.

Wir verabschiedeten uns und der Typ gab mir noch folgende Weisheit mit auf den Weg:


"Pass auf! Hier im Osten werden dir noch viele Arschlöcher begegnen!"

Lachend lief ich los. Bis jetzt war das nicht der Fall und ich hoffe, dass das auch so bleibt.

Ob er Recht behalten wird, werden wir sehen. Und ihr werdet es lesen...










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