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  • Jürgen schreibt für Michel

Balaton

Um den Ballungsraum Budapest zu vermeiden, habe ich mich von Lacá mit dem Pferdeanhänger umsetzen lassen. Er fuhr mich und Vaillant direkt an den Plattensee. Da gab es auch gleich eine Adresse, die von einem Mitarbeiter Lacás vermittelt worden ist. Irgendwie hat das aber nicht so gut geklappt.



Die letzten beiden Tage war ich schon sehr aufgeregt. Die ambivalente Mischung aus Vorfreude und gehörigem Respekt vor der Weitereise ließen meine Zähne des nachts knirschen, so dass ich mit schmerzenden Backenzähnen aufwachte.

An diesem Morgen war ich bereits um sechs auf den Beinen. Mit Lacá hatte ich zehn Uhr als Abreisezeit ausgemacht, ich hätte also genug Zeit zum Ausschlafen gehabt, aber ich konnte es einfach nicht erwarten.

Um halb neun war ich marschbereit, aber von Lacá weit und breit keine Spur. Die Zeit zog sich wie Kaugummi bis Lacá schließlich auftauchte. Jetzt mussten wir nur noch Vaillant überreden in den Hänger zu steigen.

Leichter gesagt, als getan, aber endlich hatten wir es geschafft.



Tanken mussten wir auch noch. Auf dem Weg zur Tankstelle fiel uns auf, dass einer der Hängerreifen Luft verlor. Diesen einfach an der Tanke aufzupumpen hatte nur einen temporären Effekt. Die Luft war so schnell wieder draußen wie wir sie reingeblasen hatten. Also noch schnell zum Reifenhändler um den Reifen flicken zu lassen. Das ging Gott sei Dank recht zügig, so dass wir dann um halb eins endlich in die Spur kamen.

Die Fahrt dauerte keine zwei Stunden und am frühen Nachmittag kamen wir bei der Adresse an, die Yannick vermittelt hatte.

Die Farm konnte man gar nicht als solche bezeichnen. Das war schon eher ein edles Anwesen. Ein weitläufiges gepflegtes Gelände, anschließend große Stallungen für edle Pferde. Vaillant und ich wirkten da wie ein Fremdkörper.

So sah es der Besitzer wohl auch, denn er hieß uns so gar nicht willkommen. Er wollte uns hier nicht haben und schickte uns weiter zu einem Bekannten von ihm, dessen Sohn zusammen mit seiner Frau etwa zwei Kilometer weiter wohnte.


Ich verabschiedete mich von Lacá und bedankte mich noch mal überschwänglich bei ihm für seine Hilfe. Wir lagen uns in den Armen und etwas schwermütig trat ich mit Vaillant die zwei Kilometer an.

Vaillant freute sich irgendwie, endlich wieder marschieren zu dürfen. Er schien wirklich gute Laune zu haben. Das übertrug sich auch auf mich und binnen kurzer Zeit war mein aufkommender Ärger über diesen bornierten Reichen, der uns abgewiesen hatte, auch schon wieder verflogen.

Bald darauf waren wir bei Marion und Gary eingetroffen. Die beiden wohnten in einem uralten Wohnwagen. Daneben gab es noch ein kleines Haus. Eigentlich eher eine notdürftig zusammen genagelte Hütte. Die Armut schockierte mich und stand in krassem Gegensatz zu dem edlen Gestüt, wo wir gerade aufgebrochen waren.

Marion und Gary erwarteten mich bereits. Ich wurde herzlich aufgenommen und durfte in der Hütte Quartier beziehen. Die bestand aus einer Küche und einem Wohn- und Essraum. Das junge Paar lebte wirklich in sehr ärmlichen Verhältnissen. Umso mehr war ich von ihrer unbändigen Gastfreundschaft überwältigt.



Die beiden haben mich dann noch köstlich bekocht. Marion meinte scherzhaft, wenn´s ums Kochen geht, sei Gary die beste "Oma".

Es hat wirklich gut geschmeckt und den Abend haben wir uns noch sehr toll unterhalten.


Am nächsten Morgen meinten die beiden, ich solle doch noch eine Nacht länger bleiben, denn heute würde ihr Freund Peter zu Besuch kommen, mit dem ich mich sicher gut verstehen würde, denn Peter sei auch so ein Abenteurer, der schon über 60.000 Kilometer mit dem Pferd geritten sei.

Peter kam dann auch und ich habe mich tatsächlich gut mit ihm verstanden, was auch daran lag, dass Peter sehr gut Deutsch sprach.

Eigentlich wollte Peter nur bis Mittag bleiben, da wir uns aber gegenseitig soviel zu erzählen hatten, blieb er bis zum Abend.

Zum Wanderreiten kam Peter eher zufällig. Bei einer Reise durch die Mongolei hatte er sich ein Pferd gekauft und ist damit bis nach Ungarn zurück geritten. Da hatte ihn der Virus gepackt und es folgten noch viele weitere Reisen zu Pferd.

Er hat darüber auch schon drei Bücher geschrieben, die es aber nur auf Ungarisch gibt.

Heute ist Peter beim Militär angestellt um dort Pferde zu trainieren. Außerdem hat er mit seinen 52 Jahren noch angefangen Jura zu studieren.

Bei diesen Geschichten und Erzählungen verflog die Zeit regelrecht und abends schlüpfte Gary noch einmal in die Rolle der besten Oma der Welt und bekochte die ganze Mannschaft. Es gab Ziege. Sehr köstlich.



Ich war froh bei Marion und Gary untergekommen zu sein und nicht bei diesem stocksteifen reichen Schnösel, bei dem ich, wenn überhaupt, höchstens geduldet gewesen wäre.


 

Ich war voll motiviert. Und Vaillant auch. Es machte Spaß wieder auf der Piste zu sein. Vaillant schritt gemächlich aber kontinuierlich vor sich hin. Ich musste ihn nie antreiben. Selbst durch die Stadt, durch die wir heute morgen mussten, lief er ohne auch nur ansatzweise zu zicken.



Die Verabschiedung von Marion und Gary heute morgen war herzlich und sie ließen mich natürlich nicht ohne ein deftiges Frühstück mit Rührei gehen.

Die beiden sind ein tolles Paar und ich bin stolz, sie kennenglernt haben zu dürfen. An dieser Geschichte zeigt sich deutlich, dass sich Gastfreundschaft nicht an Geld oder Reichtum misst. Oft (nicht immer) sind es die armen Menschen, die bereit sind etwas zu teilen.

Mit dieser Erkenntnis lief es sich locker und leicht. Peter hatte mir für heute Abend eine Unterkunft bei Freunden besorgt. Das waren 23 Kilometer Strecke, doch so gut wie wir heute voran kamen, war das kein Problem.

Einzig eine schmale Brücke über einen kleinen Bach mit anschließendem Bahnübergang war für Vaillant eine zu große Herausforderung. Da der Umweg aber keine 500 m ausmachte, nahm ich diesen bereitwillig in Kauf und versuchte es erst gar nicht, Vaillant da drüber zu quälen.

Und weil uns das Laufen heute so viel Spaß machte, kamen wir auch schon gegen vier Uhr nachmittags an unserem Ziel an.



Der von Peter vermittelte Hof war eine Pferdepension und es wurden auch Zimmer für Urlauber vermietet.

Ich wurde freundlich aufgenommen. Vaillant bekam eine eigene Box mit Auslauf und ich ein warmes Zimmer mit eigenem Bad. Die Dusche hatte ich nötig, war ich nach dem ungewohnt langen Marsch doch sehr verschwitzt.

Auf dem Hof werden auch Rinder gezüchtet. Doch anstatt die Rinder einfach nur auf die Weide zu stellen, trieb der Hausherr die Rinder in bester Cowboymanier von einer Stelle zur anderen. Die Rinder haben dadurch viel Bewegung und bekommen viel verschiedenes Gras und Kräuter zum Fressen. Das ergibt später ein gutes und geschmackvolles Muskelfleisch. Dadurch können die Rinder zu deutlich höheren Preisen verkauft werden.


Am Abend kam dann Peter nochmal vorbei, dieses Mal mit seiner ganzen Familie. Es wurde ein unterhaltsamer Abend, da neben Peter auch der Hausherr gut Deutsch sprach. Sie vermittelten mir auch wieder eine Folgeunterkunft für einen der nächsten Tage. Und natürlich wurde ich auch wieder köstlich bekocht.


 

Die 23 Kilometer des Vortages steckten mir in den Knochen. Tatsächlich verspürte ich leichten Muskelkater. Ein Gefühl, dass ich schon lange nicht mehr kannte. Ja, ja Michel, immer langsam beginnen und nicht gleich in die Vollen, schimpfte ich mich.


Ich hatte mich etwas ins Hinterland des Plattensees verzogen. Vorne am Ufer war alles sehr dicht bebaut. Auch hier in Ungarn wollen alle den besten Platz am See haben. Etwas abseits war es angenehmer zu laufen, es war einfach nicht so viel los.


Heute hatte es schon recht früh Frühstück gegeben, die Kinder mussten in die Schule und die Rinder und Pferde wollten versorgt werden. Da ich nichts zum Einpacken und Aufräumen hatte, kamen wir auch sehr zeitig in die Pötte.

Heute hatte ich kein bestimmtes Ziel und wir konnten es etwas gemütlicher angehen lassen.

Die Laune war nach wie vor hoch und hier am tiefgelegenen Plattensee hielt auch der Frühling schon Einzug. Einen schöneren Start nach dem Winter hätte man sich nicht vorstellen können.



Am späten Nachmittag dann das erste größere Hindernis. Der Weg fiel plötzlich unerwartet steil ab. Es ging in engen Kurven mit Stufen versehen steil den Berg runter.

Das war mit Vaillant nicht machbar. Also zurück. Die letzte Kreuzung war nur etwa anderthalb Kilometer zurück. Dort angekommen nahm ich den Weg nach links. Laut meiner Karte müsste das funktionieren. Aber Pech gehabt. Auch dieser Weg mündete in den vorherigen steilen Weg mit den Stufen.

Also wieder zurück und noch weiter bis zur vorletzten Kreuzung. Dieses Mal hatte ich Glück und der Weg funktionierte, aber inzwischen war ich leicht gefrustet und hatte keinen Bock mehr noch weit zu gehen.

Zum Glück kam dann aber auch bald ein Grillplatz mit einer kleinen Überdachung, wo ich es mir gemütlich machen konnte.



Das Zelt passte zwar nicht unter die Überdachung, aber es lag genügend Feuerholz rum, so dass ich ein Wärme spendendes Lagerfeuer entfachen konnte.


Während ich das Abendessen zubereitete kam ein Mann mit drei Hunden vorbei. Er sprach mich mit der Frage, ob das nun ein Esel, ein Maultier oder ein Pferd sei, an. Diese Frage hatte ich schon lange nicht mehr gehört, und schmunzelnd erklärte ich ihm den Sachverhalt. Frank war Deutscher und ist nach Ungarn ausgewandert. Er betreibt hier einen Pferdehof und er lud mich für den nächsten Morgen zum Frühstück ein. Und für Vaillant gäbe es auch noch ein bisschen Heu, versprach er.


 

Und so wie Frank das gestern versprochen hatte, löste er es heute auch ein. Ich brauchte nur etwa einen Kilometer dem Wanderpfad zu folgen und schon stand ich vor seinem Gartentor. Ich wollte gerade das Türchen öffnen, da klingelte das Telefon. Es war Frank. Er habe bemerkt, dass die Pferde unruhig wurden. Deshalb habe er geschaut, was los ist und mich dabei entdeckt. Er kam vor, um mich abzuholen.

Wir gingen eine kleinen Umweg außen rum, um seine "heiligen" Sportpferde nicht zu erschrecken. Was der Anblick Vaillants bei Pferden auslösen kann, habe ich ja schon des Öfteren erlebt.

Vaillant bekam gutes Heu und Wasser und ich einen heißen Kaffee und mal wieder eine Lebensgeschichte zu hören. Es erstaunt mich immer wieder, wie bereitwillig manche Leute sich einem wildfremden Menschen offenbaren. Ich genoss den Kaffee und die Geschichte, die durchaus spannend und interessant war, aber zu ausschweifend, um sie hier zu erzählen.



 

Seit etwa drei Wochen hatte ich Kontakt zu einer Französin namens Cindy. Sie ist auch mit einem Esel unterwegs und hat noch einen kleinen Hund dabei. Ein Freund von Cindy ist im Internet auf mich gestoßen, entweder auf Insta oder auf der Homepage. Cindy hat mich daraufhin kontaktiert und seither halten wir per Whatsapp ein wenig Kontakt.

Cindy ist vor eineinhalb Jahren in Frankreich gestartet und über Italien und Slowenien nach Ungarn gekommen. Während ich mich noch bei Lacá aufhielt, war sie schon am Plattensee.

Der Kontakt war eher spärlich und Cindy war mit ihren Nachrichten eher kurz angebunden. Ich wurde nicht richtig schlau aus ihr und wusste nicht so recht, was sie eigentlich vorhat. Lange war nicht klar, ob sich unsere Wege kreuzen würden und ob wir uns treffen könnten. Darauf angelegt hatte ich es jedenfalls nicht, aber heute kam wieder eine Whatsapp und tatsächlich war sie ganz in der Nähe und wir wollten uns treffen.

Mitten in einer Ortschaft sind wir uns dann begegnet. Und dann auch noch genau vor einer Wirtschaft, wo es drumherum saftiges Gras für die Esel gab.



Die beiden Esel brauchten eine Zeit lang um herauszufinden, ob sie sich nun mögen sollen oder nicht. Aber nach einer Viertelstunde war alles gut und sie ließen sich gemeinsam das Gras schmecken.



Wir setzten uns in die Gaststube, wo der Wirt uns einen Kaffee spendierte. Natürlich hatten wir viel Gesprächsstoff, man trifft ja nicht jeden Tag auf einen "Kollegen".

Und so beschlossen wir, dass Cindy mich heute bis nach Salföld begleiten würde. In Salföld war die Unterkunft, die Peter mir neulich schon besorgt hatte. Da wollten wir dann einen Tag Pause einlegen, damit wir genug Zeit zum Quatschen hatten. Jeder von uns war gespannt, welche Erlebnisse der andere zu berichten hatte.


In Salföld mussten wir auf unseren neuen Gastgeber, einen 84- jährigen Mann, der so eine Art Reiterherberge betrieb, warten. Er war noch unterwegs und deshalb setzten wir uns solange in einen Biergarten und genossen das schöne Wetter.

Die Esel durften auch mit rein. Und so wurde es mal wieder lustig mit den Eseln und den anwesenden Gästen. Alle hatten viel Spaß und so hatten wir auch schnell Kontakt mit den Einheimischen hergestellt.



Diese erklärten uns dann den Weg zu der Reiterherberge. Da schien alles offen zu sein und wir gingen einfach rein. Später kam der Besitzer dann auch dazu und brachte uns noch Brot und Eier.


Der Besitzer hatte mich gestern Abend noch eingeladen am Gottesdienst heute teilzunehmen. Und da ich heute morgen schon um sieben Uhr wach war, habe ich diese Gelegenheit auch genutzt. Natürlich habe ich nichts verstanden. Aber die Rituale sind ja dieselben und ich genoss die feierliche Stimmung in der Kirche.

Danach Frühstück und beratschlagen, was wir heute tun wollen. Wir einigten uns auf eine kleine Erkundungstour in der Gegend. Die meiste Zeit verbrachten wir eh damit, uns gegenseitig unsere Erlebnisse zu erzählen. Erwartungsgemäß ähnelten sich die Geschichten sehr. Teilweise hätte man nur die Namen austauschen müssen.



Da wir uns beide sympathisch waren, beschlossen wir, ein paar Tage zusammen zu laufen. Als grobes Ziel bestimmten wir erstmal das nordöstliche Ende des Plattensees. Also die Richtung, wo ich hergekommen war. Das machte mir nichts aus, inzwischen habe ich meine Routenplanung so oft durcheinander geworfen, dass es grad egal war, wohin wir liefen. Dort würden wir dann sehen, wie es weitergeht. Die neulich kommunizierte grobe Planung steht somit also schon wieder auf der Kippe. Und da Putins Vormarsch mittlerweile ziemlich ins Stocken geraten ist, könnte ich mir Rumänien als Destination schon wieder vorstellen.


 

Wir liefen also nahezu den gleichen Weg wieder zurück, auf dem ich hergekommen war. Das Laufen mit den beiden Eseln stellte sich als sehr entspannt heraus. Nénette, die Eselin von Cindy, wollte immer vorne draus laufen. Das war Bedingung, anders funktionierte es nicht. Vaillant kam damit aber gut klar und trottete vergnügt hinterher. Manchmal tobte er auch ausgelassen hinterher, aber nie blieb er stehen oder war zickig oder bockig. Das ist also das Geheimnis einen Esel zum Laufen zu bringen. Lass einfach eine Eselstute vorne draus laufen.

Die Kilometer und die Tage vergingen wie im Flug. Wir waren eine echt tolle Truppe. Alles passte zusammen. Und wie es mit uns weiterging, erfahrt ihr demnächst...





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Der Esel nennt sich bekanntlich immer zuerst, deshalb fange ich einfach mal bei mir an:

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