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  • Jürgen schreibt für Michel

Freizeitstress - Teil II

Der Besucherandrang hielt noch die ganze Woche an. Die Besucher haben sich quasi die Klinke in die Hand gegeben. Ich musste die Termine richtiggehend planen - so ein Stress! Aber halt auch schön.


Am Mittwochmorgen waren ja noch mein Bruder Ulli und die Stefanie da. Mein anderer Bruder Albert und seine Frau Edith kamen auch gleich früh morgens an, auch sie wollten nochmal eine Etappe mit dabei sein. Außerdem gesellte sich für die ersten paar Kilometer noch der nette Baumschneider von gestern mit dazu. So waren wir also eine richtige kleine Gruppe als wir losmarschierten.


Unsere Wandergruppe

Der Baumschneider

Der Baumschneider hatte viel zu erzählen, über die Natur und die Tiere und wie das alles zusammenhängt. Das war sehr interessant und wissenswert, aber vor allem sehr kurzweilig. Schön, einen so tollen Menschen kennengelernt zu haben.

Nach einer Weile musste er umdrehen, er hatte noch anderes zu tun. Wir anderen wanderten weiter, kamen an einem schönen Stausee vorbei und erreichten gegen Abend das Etappenziel Adelberg. Ein wirklich toller Tag ging zu Neige und meine Begleiter verabschiedeten sich Richtung Zuhause.



Ich baute mein Nachtlager auf, versorgte mein Eselchen und dann mich. Dann gab's noch eine Kuschel- und Blödelrunde. Das macht Vaillant immer richtig Spaß und man merkt einfach wie er die körperliche Nähe auch braucht und genießt.

Ich ließ die letzten Tage gedanklich Revue passieren. Es war viel los und manchmal auch anstrengend, aber auch richtig schön. Ich fühlte mich glücklich und zufrieden.


Am nächsten Tag waren wir alleine. Ja genau, nur Vaillant und ich. Quasi ein Ruhetag.

Es schien, als ob Vaillant gar nicht begreifen wollte, dass wir heute wieder alleine waren. Er zickte den ganzen Morgen rum, wollte nicht laufen und bockte. Als ob er sagen wollte: "Warte, die anderen sind noch gar nicht da!"


Wir kamen durch ein kleines Dorf namens Rattenharz, kurz vor Lorch. Bereits vor dem Ortseingang lag ein Bauernhof. Hier fragte ich nach Heu und Wasser für Vaillant. Ich bekam nicht nur das gewünschte, sondern die Bäuerin steckte mir auch noch eine Dose Wurst zu.

Es ist immer wieder überwältigend, wie nett und freundlich die Menschen doch sind. Man muss nur einen Esel dabei haben. Das öffnet Herzen.



Nach dem Powerfood ging es Vaillant besser. Durch das Dorf marschierend wurden wir schon von hinter den Fenstern beobachtet:



Die Beobachter gaben sich zu erkennen, aus dem Haus kam ein Mann und seine kleine Enkeltochter. Er stellte sich mit Roland vor, die Kleine hieß Hanna.

Roland lud mich spontan auf ein Bier ein. Ich schaute auf die Uhr. Es war halb zwölf. Nach kurzem Zögern willigte ich ein. Was soll's, wir hatten ja nix zu verrennen!

Während wir auf der Terrasse Bier tranken, kümmerte sich Hanna liebevoll um Vaillant. Sie streichelte ihn, kuschelte mit ihm. Sie striegelte ihn und gab ihm Wasser und rannte mit ihm über die Wiese. Super, welchen Bezug das kleine Mädchen zu dem Tier hatte. Vaillant gab Hannas Zuneigung genauso liebevoll zurück. Es war ein sehr schönes, friedvolles Bild, den beiden so zuzuschauen.



Beim Abschied meinte Hanna:


"Ich glaub, ich vermiss den Vaillant jetzt schon!"

Leicht bedüdelt setzte ich meine Wanderung fort. Wir kamen nachmittags in Lorch an, wo ich das Kloster besichtigen wollte. Jürgen meinte am Telefon, das wäre ein Unesco- Weltkulturerbe. Das war's zwar nicht, anschauen wollte ich es mir trotzdem.

Also schnurstracks quer durch das kleine Städtchen, bei einer Eisdiele schnell den Vaillant an einem Schild angebunden und ein Eis mitgenommen. Hmm, Eis auf Bier...


Am Kloster angekommen, stellte ich ernüchternd fest, dass das Kloster geschlossen hatte, wegen Corona. Das hätte ich mir ja denken können - so ein Senf.

Vaillant fand das Kloster etwas unheimlich, warum auch immer. Ich ging also noch ein Kilometer weiter, bis ich ein schönes Plätzchen für die Nacht fand.

Irgendwie bin ich aber doch neugierig auf das Kloster geworden und ging ohne Vaillant nochmal zurück.

Am Kloster traf ich auf eine Frau, die mich in die Klosteranlage ließ, aber nur von außen. Die Klosterkirche, das eigentliche Highlight durfte ich leider nicht besichtigen.



Hier verbrachte ich den Abend und die Nacht:


Limesturm im Abendlicht

Der Freitag begann nasskalt. Von oben her war es zwar noch trocken, aber durch den Frühnebel und die allgemeine Luftfeuchtigkeit, war mein Zelt klatschnass. Die Aussicht, das es schnell abtrocknen würde, war nicht gegeben, daher packte ich es halt so ein. Echt lecker...


Wir gingen los und nach einer Rast an einem Bach, nahm ich den falschen Weg. Die kleinen elektronischen Helferlein mit GPS und so sind ja schon super, aber man sollte sie halt auch benutzen. Hab ich nicht gemacht, selbst schuld.

Ich blieb trotzdem auf diesem Weg, musste dann aber ein gutes Stück sehr nahe an der B29 entlang laufen. Auf diesem Stück war auch noch eine Baustelle eingerichtet und von dem Lärm der Baumaschinen und des stockenden Verkehrs, wurde Vaillant schon recht nervös. Einige Autofahrer fanden es auch noch lustig, angesichts unseres Anblicks, laut hupend zu grüßen. Na ja, die wussten es einfach nicht besser, aber ich hatte echt Mühe Vaillant im Zaum zu halten.

So war ich gottfroh, als wir diesen Abschnitt hinter uns hatten.


Jetzt fing es auch von oben an zu regnen. Tapfer marschierten wir weiter, bis ich einen Infopoint entdeckte, an dem der Limes und die Geschichte der Römer genau erklärt wurden. Da gab es eine Überdachung, die ich gerne annahm, Vaillant machte es sich unter einem Baum gemütlich.


Es gesellten sich zwei junge Leute, so Mitte Zwanzig, zu mir. Rauchend standen wir unter dem Pavillon und ich gab mein neu erworbenes Wissen über die Römer, ihre Gesellschaft und ihr Riesenreich zum Besten. Ich war selbst ganz fasziniert von den Römern, die ich bis dato noch gar nie so auf dem Schirm hatte. Die Faszination war ansteckend und die beiden Jungs zeigten sich begeistert. Auch sie mussten zugeben, zwar hier in der Nähe aufgewachsen zu sein, aber vom Limes noch nie so richtig gehört zu haben.

Der eine outete sich als Deutschtürke, bzw. Kurde. Er erzählte mir jetzt wiederum vom Osmanischen Reich, wie ausgedehnt dies war und was die Osmanen alles erreicht haben.

So entwickelte sich diese Regenzwangspause zu einem völlig unerwarteten, informativen Austausch, den ich sicher noch lange in Erinnerung behalten werde.


Der Regen ließ etwas nach und ich ging weiter, aber wirklich nur bis zum nächstbesten Bauernhof, wo ich nach einem Unterstand und einem trockenen Plätzchen für die Nacht fragen wollte. Es kam ja am Abend auf jeden Fall noch Kerstin, so dass ich im Wohnmobil nächtigen konnte. Ich würde mich aber wohler fühlen, wenn auch Vaillant ein trockenes Plätzchen hätte.

Ein Bauernhof kam schnell in Sicht und auch hier wurde ich mit offenen Armen empfangen. Selbstverständlich könne ich bleiben, gar kein Problem. Die Bäuerin war sehr redselig. Sie erzählte mir ihr halbes Leben, erzählte vom Gemüseanbau, erzählte von Waschbären, erzählte von Hühnern... Irgendwie konnte ich mir gar nicht alles merken.


Kerstin ließ auch nicht lange auf sich warten und ich freute mich schon auf die warme Stube. Doch zuerst gab es noch ein bisschen was zu tun. Wir haben meine Ausrüstung getrocknet, die ganzen Sachen sauber gemacht und wieder ordentlich gepackt und - Socken gewaschen.



Und Kerstin hat mich mit leckerem Essen verwöhnt:



Vielen lieben Dank, Kerstin! Das war spitze!


Am Samstag zogen wir um. Das Plätzchen war zwar schön, aber doch nicht ganz ideal. Denn der Besuchermarathon war noch nicht zu Ende. Für heute Nachmittag hatte sich mein Freund Rudi angesagt, samt Frau und Tochter. Sie würden mit dem Wohnmobil kommen und zusammen mit Kerstins Wohnmobil hatten wir hier einfach nicht genug Platz.


Wir gingen - Vaillant und ich - und fuhren - Kerstin - exakt 500 m. Da sahen wir dieses Schild:



Wir schauten uns schmunzelnd an. Was war den hier los? Gab es hier etwa einen Eselhof? Von einem Gebäude war aber weit und breit nichts zu sehen.


Just in diesem Augenblick kam ein Auto des Weges gefahren. Die Insassen schauten uns ebenso ungläubig an. Sie hielten an und es stellte sich heraus, dass sie tatsächlich Besitzer eines Hofes mit Eseln waren. Der Hof war 200 m weiter unten, von hier aus nicht einsehbar. Das war ein Lachen und ein Freude, unbeschreiblich.

Wir fragten nach einem Übernachtungsplätzchen und es wurde uns eine Wiese angeboten, die für unser Vorhaben perfekt war.


Zur Zeit lebte nur eine Eselstute auf dem Hof. Paula.

Paulas Geschichte war tragisch. Sie lebte bis vor zwei Wochen hier zusammen mit einem ihrer Söhne. Der jedoch ist vor zwei Wochen plötzlich und unerwartet gestorben. Die Ursache konnte nicht festgestellt werden.

Jetzt war Paula natürlich einsam, deshalb sollte am Sonntag ein neuer Esel auf dem Hof einziehen, damit sie wieder einen Partner hat.


Wir haben auch Vaillant mit Paula bekannt gemacht. Vaillant war sofort Feuer und Flamme. Schockverliebt. Aber auch von Paula schienen Gefühle zurückzukommen.



Kurz darauf kam auch Rudi mit seiner Familie an und wir richteten uns auf der Wiese ein. Es wurde ein sehr schöner Abend mit Grillen, Bier, tollen Gesprächen und viel herzhaftem Lachen.

Vaillant schien im siebten Himmel und war von seiner Paula nicht mehr wegzukriegen.



Und weil's so schön war, blieben wir auch noch den Sonntag hier. Allerdings kam ja heute der neue Esel auf den Hof.

Wir brachten deshalb Vaillant etwas weiter weg auf eine andere Weide, um Komplikationen zu vermeiden. Seinen Missmut ließ er lautstark vernehmen - und zwar den ganzen Sonntag über. Der arme Kerl. Ich hoffe, er kommt drüber weg.


Paula hingegen verliebte sich direkt neu in ihren neuen Partner. Die beiden verstanden sich auf Anhieb gut. Also gab es wenigstens hier ein Happy End.


Bin mal gespannt, wie lange Vaillant mir das noch übel nehmen wird...




Bleib bloß weg, du Esel, du!


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